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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Bezirksrates Einsiedeln, des Gemeinderates Schwyz, des Bezirksammanns Wyß in Einsiedeln und des Gemeindepräsidenten P. Weber in Schwyz gegen die Entscheidung des Regierungsrates von Schwyz vom 19./22. Februar 1898 betreffend Stimmrecht.

(Vom 15. November 1898.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat hat

über die Beschwerde des Bezirksrates Einsiedeln, des Gemeinderates Schwyz, des Bezirksammanns Wyß in Einsiedeln und des Gemeindepräsidenten P. Weber in Schwyz gegen die Entscheidung des Regierungsrates von Schwyz vom 19./22. Februar 1898 betreffend Stimmrecht, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Zuschrift vom 10. Februar 1898 verlangte Dr. A. Huber, Rektor am Kollegium Maria-Hilf in Schwyz, vom Gemeinderat Schwyz, daß den Studenten des Kollegiums Ausweiskarten für die

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kantonale Verfassungsabstimmung vom nächstfolgenden 13. Februar zugestellt würden. Der Gemeinderat beschloß am 12. Februar die Abweisung dieses Begehrens, soweit sich dasselbe auf kantonsfremde Studenten bezog, und zwar in Erwägung, ^daß das Stirnmrecht der Aufenthalter ein Korrelat zu ihrer Steuerpflicht bildet, und nachdem die letztere von den Studenten abgelehnt wird, auch deren Stimmrecht dahinfällta. Um jedoch den durch diese Verfügung Betroffenen die Beschwerdebefugnis nicht thatsächlich unmöglich zu machen, ordnete der Gemeinderat Schwyz für sie die Aufstellung einer besondern Stimmurne an, die bis zur definitiven Erledigung der Angelegenheit verschlossen aufzubewahren sei.

Dieselbe Anordnung traf am 12. Februar der Regierungsrat des Kantons Schwyz für die Studenten der Stiftsschule in Einsiedeln.

In dieser Weise beteiligten sich am 13. Februar sowohl die kantonsfremden schweizerischen Studenten des Kollegiums in Schwyz, als auch diejenigen der Stiftsschule in Einsiedeln an der Abstimmung.

Auf Grund eingereichter Beschwerde beschloß der Regierungsrat des Kantons Schwyz den 19./22. Februar: 1. Das von den Studenten des Kollegiums Maria-Hilf in Schwyz und der Stiftsschule in Einsiedeln beanspruchte Stimmrecht wird anerkannt.

2.- Die Abstimmungsbureaux Schwyz und Einsiedeln sind angewiesen, die in besonderer Urne befindliche Stimmabgabe der dortigen Studenten auszumitteln und die Resultate dem Regierungsrate sofort mitzuteilen.

II.

Mit Beschwerde vom 9. April 1898 und ergänzenden Nachträgen vom 11. und 15. April 1898 verlangen der Bezirksrat Einsiedeln, der Gemeinderat Schwyz, Bezirksammann Wyß in Einsiedeln und Gemeindepräsident P. Weber in Schwyz vom Bundesrat die Aufhebung des Entscheides des schwyzerischen Regierungsrates vom 19./22. Februar, der im Widerspruch mit der kantonalen Verfassung stehe. Unter Berufung auf ein den Akten beigelegtes Rechtsgutachten von Professor Gustav Vogt in Zürich vom 1. April 1898 machen die Beschwerdeführer geltend: Für das Ergebnis der Abstimmung, die am 13. Februar 1898 stattgefunden hatte und in der der vorgelegte Verfassungsentwurf mit überwiegender Mehrheit verworfen worden war, ist die Einzahlung der angefochtenen Studentenstimmen ohne Einfluß ; ohne sie würde die Mehrheit nur um eine verhältnismäßigO geringe Anö O

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zahl von Stimmen schwächer gewesen sein. Die Beschwerdeführer wollen deshalb nur in prinzipieller Weise für kantonale Abstimmungen und Wahlen die streitige Stimmrechtsfrage in maßgebender Weise entschieden sehen, sie beabsichtigen keineswegs, eine nochmalige Volksabstimmung über den Verfassungsentwurf herbeizuführen.

Die Zulässigkeit solcher prinzipieller Entscheidungen geht aus der bisherigen Praxis. des Bundesrates unzweideutig hervor ; es genügt, auf folgende Ausführung in der bundesrätlichen Entscheidung in Sachen Bielmann-Bourgknecht, vom 7. März 1896, zu verweisen: ,,Weigern sich die Behörden, unrechtmäßigerweise im Stimmregister eingetragene Bürger zu streichen, oder solche, die eingetragen sein sollten, aufzunehmen, so kann Rekurs an den Bundesrat erhoben werden, und dieser ist befugt, die angemessenen Verfügungen zu treffen, um für die Zukunft den Bürgern das durch die Bundesund Kantonsverfassung garantierte Stimmrecht zu sichern'1 (Bundesbl.

1896, II, S. 779 f.).

Bezirksammann Wyß und Gemeindepräsident Weber sind auf Grund der Vorschrift der Art. 178, Ziff. 2, und 190 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 zur Beschwerdeführung legitimiert, sie sind im Kanton Schwyz stimmberechtigt, und ihre Rechte werden dadurch verletzt, daß Personell, die niclit stimmberechtigt sind, zur Teilnahme an einer Abstimmung zugelassen werden. Gemäß feststehender Praxis des Bundesrates (ygl. Salis, Bundesrecht, II, Nr. 771 ; I, Nr. 207) kann auch dem Bezirksrat von Einsiedeln und dem Gemeinderat von Schwyz die Legitimation zur Beschwerdeführung nicht bestritten werden.

Die vom Gemeinderate Schwyz den 12. Februar 1898 vertretene Ansicht, wonach den Studenten das Stimmrecht zu verweigern ist, weil dasselbe Korrelat der Steuerpflicht sei, kann zwar nicht aufrecht erhalten werden ; dagegen verletzt die angefochtene regierungsrätliche Entscheidung die Vorschrift des § 28 der Schwyzer Verfassung, die also lautet : Von der Stimmfähigkeit sind ausgeschlossen: f. Niedergelassene Schweizerbürger, welche die Niederlassung im Bezirk nicht schon mindestens drei Monate besitzen, und Aufenthälter-Schweizerbürger, welche nicht schon während der Dauer eines Jahres im Bezirk gewohnt haben.

Während also die Verfassung ohne weiteres annimmt, daß die Niederlassung, obwohl im Grunde nur ein polizeilicher Begriff, den politischen Wohnsitz in sich schließe, verlangt sie von den

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Aufenthältcrn-Schweizerbürgern, und zu diesen gehören die in Frage stehenden Studenten, das Innehaben eines Wohnsitzes, und zwar während der Dauer eines Jahres.

Die Frage, ob ein Student am Studienort stimmberechtigt sei, hat der Bundesrat in zwei Entscheidungen vom 18. Juni 1891 verneint, betrefi'end den Studenten Pedretti Giuseppe Eliseo erklärend: ,,Da er sich in Lugano nur als Student aufhält, hat er dort nicht sein Domizil, sondern dasjenige von Locamo beibehalten, und ist daher hier nicht zu streichen."· Dieses Argument erklärt er auch als zutreffend für die Studenten Cattori und Signorotti (vgl. Bundesbl. 1891, IH, S. 896, 1005). Mit dieser Auffassung steht nicht im Widerspruch die Entscheidung des Bundesrates vom 7. März 1896, durch welche die Stimmberechtigung der Studenten, an ihrem Studienort Freiburg anerkannt worden ist; denn die Freiburger Studenten hatten sich drei Monate vor der Wahl in der Stadt Freiburg niedergelassen und waren im Besitze einer regelrechten Niederlassungsbewilligung. Vgl. Bundesbl. 1896, II, S. 779 f.

Es ergiebt sich also aus allen diesen Entscheidungen, daß die Studenten am Studienort keinen Wohnsitz haben, sie sind deshalb daselbst auch nicht stimmberechtigt; der Wohnsitz im politischen Sinne, das politische Domizil, an das auch die schwyzerische Verfassung das Stimmrecht knüpft, ist ein natürliches Domizil, das, durch keine Gesetzesvorschrift definiert, nur aus derNatur des Verhältnisses heraus konstruiert werden kann. Es besteht in dem Gemeinwesen, dem man, Anteil nehmend an seinem Wohl und Weh, angehört, mit dem man näher verwachsen ist. Ein Student aber, der nur seiner Studien wegen eine Schule außerhalb seines bisherigen Wohnortes bezieht, verhält sich in allem übrigen zu seinem Studienort wie ein Fremder ; seine Einwohner sind für ihn Philister, zu ihnen und zu ihrem Gemeinwesen rechnet er sich nicht, so wenig wie der Kastanienbrater es thut, der nur seine Kastanien möglichst vorteilhaft verkaufen will. Wie das Bundesgericht verfährt bei Beantwortung anderweitiger Wohnsitzfragen, so muß auch hier verfahren werden, um das Vorhandensein des politischen Wohnsitzes festzustellen : es wird durchaus anerkannt, daß keines der übrigen Domizile ohne weiteres für die Annahme des politischen Domizils maßgebend ist, aber doch ist jedes einzelne derselben von
Gewicht. Daraus aber, daß die Studenten an ihrem Studienort weder ihr Steuerdomizil haben, noch den persönlichen Gerichtsstand im Sinne von Art. 59 der Bundesverfassung und im Sinne von Art. 3, Abs. 3, des Bundesgesetzes über die civil-

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rechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, folgt, daß Studenten an ihrem Studienort auch kein politisches Domizil haben, und daß daher im Kanton Schwyz den Studenten, die eine bloße Aufenthaltsbewilligung besitzen, das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten nicht zukommt. Will der Student in den politischen Verband seines Studienortes eintreten, so muß er ein mehreres thun, nämlich die Niederlassung erwerben.

Der Regierungsrat des Kantons Schwyz stützt seine Verfügung vom 19./22. Februar 1898 auf die Verordnung des Kantonsrates über Niederlassung und Aufenthalt vom 25. November 1890, deren § 27 lautet: In Bezug auf das Stimmrecht der Aufenthalter in Kantonsund Gemeindeangelegenheiten gelten folgende Grundsätze : a. stimmfähige Schweizerbürger erhalten das Stimmrecht in der Aufenthaltsgemoinde nach Verfluß eines Jahres, Kantonsbürger bei Abstimmungen über Gesetzes vorlagen mit dem Datum der erhalteneu Aufenthaltsbewilligung, in den anderen Fällen nach Verfluß von 3 Monaten, von der Aufenthaltsbewilligung an gerechnet.

Der Regierungsrat interpretiert diese Verordnung so, daß er vom Erfordernis des ,,Wohnensa der Aufenthalter, wie es § 78 der Verfassung als Bedingung der Ausübung des Stimmrechts verlangt, absieht, und nur auf die einjährige Dauer der Aufenthaltsbewilligung abstellt.

Es kann aber die Verordnung die Voraussetzungen des Stimmrechts nicht anders normieren als die Kantonsverfassung, deren Ausführungsgesetz sie sein will. Die Verordnung muß daher so verstanden werden, daß sie nur für die von der Verfassung als stimmberechtigt bezeichneten Aufenthalter, also für diejenigen mit Wohnsitz, den terminus a quo bezeichnet, während sie von den nicht stimmberechtigten Aufenthaltern gar nicht redet, weil es eben für sie keiner derartigen Vorschrift bedarf.

Müßte aber die Verordnung im Sinne der Regierung ausgelegt werden, so stünde sie im Widerspruch mit der Kantonsverfassung und wäre deshalb nicht rechtsbeständig.

Der Bundesrat hat zwar am 15. Dezember 1890 dieser Verordnung die Genehmigung erteilt; die Genehmigung kann sich aber, wie Art. 43, Abs. 6, der Bundesverfassung zeigt, nur auf die ,,Niederlassung und das Stimmrecht der Niedergelassenen0'' beziehen und betrifft also die heute streitige Frage des Stimmrechts der Aufenthalter nicht. Außerdem wäre für' den Bundesrat, der

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nur die bestehende Verfassung anzuwenden hat, die von ihm als einer Administrativbehörde erteilte Genehmigung kein Hindernis für die Prüfung der ihm nun als richterlicher Behörde vorliegenden Frage, ob das Stimmrecht der Studenten mit der Schwyzer Verfassung im Einklang stehe.

Endlich steht die Stimmabgabe der Studenten im Widerspruch mit der Bundesverfassung (Art. 43, Abs. 3), wonach kein Schweizerbürger in mehr als einem Kanton politische Rechte ausüben darf.

Elf der in Frage stehenden Studenten sind in ihrer Heimatgemeinde resp. in der Gemeinde, wo ihre Familie wohnt, in den Stimmregistern eingetragen. Es muß deshalb das Stimmrecht am Studienort, wo sich die Studenten nur vorübergehend aufhalten, demjenigen des Heimatsortes, wo sie ihren wirklichen Wohnsitz haben, weichen.

III.

Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt in seiner Antwort vom 25./27. Juli 1898 die Abweisung der Beschwerde.

Er stützt sich hierbei auf folgende Ausführungen, die in einem den Akten beigelegten Rechtsgutachten des Professors Andreas Heusler in Basel vom 9. Juli 1898 enthalten sind: Nach Ansicht der Beschwerdeführer kennt das schwyzerische Recht zwei Arten von Aufenthaltern, solche mit politischem Stimmrecht und solche ohne politisches Stimmrecht nach Ablauf eines Jahres seit der Erlangung der Aufenthaltsbewilligung. Diese Unterscheidung beruht aber weder auf einem juristischen Merkmal, noch ist sie in der Verfassung des Kantons Schwyz begründet, denn ein solches Merkmal ergiebt sich aus dem Worte ,,wohnen"1 nicht, auch wenn man dasselbe mit den Beschwerdeführern als' ein specifisches Domizil erklärt, das nur au einem Orte möglich sei, .an dessen Wohl und Weh man Anteil nehme. Wer kann aber wissen, welcher Aufenthalter am Wohl und Weh des Aufenthaltsortes Anteil nimmt? In Wahrheit ist der schwyzerischen Verfassung die Unterscheidung von Aufenthaltern erster und zweiter Klasse unbekannt. In § 78, litt, f, der Schwyzer Verfassung liegt der ganze Nachdruck auf den Worten ,,während der Dauer eines Jahresa, und der Ausdruck ,,wohnen" ist, wie dies auch in ändern Gesetzen zu finden ist, einfach aus stilistischen Gründen gebraucht ·worden statt des technischen Ausdruckes ,,sich aufhalten".

Diese natürliche Interpretation wird bestätigt sowohl durch die Verordnung über Niederlassung und Aufenthalt vom 25. NoBundesblatt. 50. Jahrg. Bd. V.

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vember 1890, die einen besondern Wohnsitz der Aufenthalter nicht kennt, als auch durch die Verordnung über das Verfahren bei geheimen Abstimmungen im Kanton Schwyz, vom 14. Juli 1881 ; diese letztere spricht in den §§ 2 und 4 von dem ,,gesetzlichen Wohnsitz" der Aufenthalter ; seine Bedeutung ergiebt sich aus § 5, woselbst die ,,Aufenthalter-Schweizerbürger" erwähnt werden, ,,welche die Aufenthaltsbewilligung in der Wohnsitzgemeinde nicht schon mindestens ein Jahr besitzen".

Die Herbeiziehung der Entscheidungen des Bundesrates in Tessiner Stimmrechtsbeschwerden ist nicht beweiskräftig, weil der Entscheid über das Stimmrecht der Aufenthalter von der Auslegung der kantonalen Vorschriften abhängt, und nach dem bei der bundesrätlichen Entscheidung maßgebenden Tessiner Recht (Gesetz über die Ausübung des Aktivbürgerrechts vom 15. Juli 1880, Art. 1) das Stimmrecht in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten vom Domizil abhängig ist ; als ,,Domizil" gilt aber der ,,Wohnsitz in einer Gemeinde, aufgeschlagen in der Absicht, daselbst seine Haushaltung und seinen hauptsächlichen Sitz zu haben".

Auf Grund dieser Bestimmung konnten im Kanton T essin Studenten an ihrem Studienorte kein Stimmrccht beanspruchen, während in Schwyz dies möglich ist, sobald sie nach Vorschrift des schwyzerischen Rechts (Verfassung, § 78, litt, f, und Verordnung vom 25. November 1890, § 27} als Aufenthalter-Schweizerbürger seit einem Jahre die Aufenthaltsbewilligung in der Wohngemeinde besitzen. Dabei geht die Praxis so weit, daß sie nicht einmal ein ununterbrochenes einjähriges Wohnen verlangt, sondern nur fragt, ob die Aufenthaltsbewilligung schon ein Jahr lang dauert. Und diese Praxis ist insofern begreiflich, als es sehr schwer wäre, das Zeitmaß zu bestimmen, das den Aufenthalt unterbrechen würde.

Mehrere Studenten, die in Schwyz ihr Stimmrecht ausgeübt haben, sind auch in den Stimmregistern ihrer Heimat als stimmberechtigt eingetragen. Solange diese Studenten sich der Ausübung des Stimmrechts in ihrer Heimatgemeinde enthalten, kann ihnen ihre politische Bethätigung in Schwyz nicht verwehrt werden ; erst dann, wenn ein Student, im Widerspruch mit der Vorschrift des Art. 43 der Bundesverfassung, zugleich am Aufenthaltsorte und in seinem Heimatkanton sein Stimmrecht ausüben wollte, wäre auf dem Rekurswege eine solche doppelte
Stimmabgabe anfechtbar ; aber zu kassieren wäre nicht die Stimmabgabe in Schwyz, sondern die in der Heimatgemeinde, denn in diesem Falle müßte das faktische Wohnen, der faktische Aufenthaltsort, der in Schwyz be-

167 stellt, über den bloß idealen, der in der Heimatgemeinde noch als fortbestehend gedacht wird, den Sieg davon tragen.

Diesen Ausführungen fügt der Regierungsrat folgendes bei : Der Bezirksrat Einsiedeln und der Gemeinderat Schwyz sind nach Art. 178 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 zum Rekurse nicht legitimiert, da sie nicht stimmfähig sind, also ihre Rechte durch den Entscheid des Regierungsrates nicht verletzt werden, auch wenn derselbe wirklich einen vom Stimmrecht Ausgeschlossenen zulassen würde. Diese Gemeindehörden rekurrieren auch in Wahrheit an den Bundesrat nicht als an den Hüter über das verfassungsmäßige Stimmrecht, bei dessen Verletzung er eine eigenartige staatsrechtliche Gerichtsbarkeit ausübt, sondern sie wollen ihn als die oberste Instanz in kantonalen Verwaltungs- und Verwaltungsstreitsachen entscheiden lassen ; solche Kompetenz hat aber der Bundesrat nicht, und es ist daher die Beschwerde der Gemeindebehörden von Schwyz und Einsiedeln unstatthaft.

Ferner haben Bezirksammann Wyß und Gemeindepräsident Weber nicht in eigenem Narneu den Rekurs ergriffen, sondern als Präsidenten ihrer Gemeindebehörden ; als solche sind sie in keinem Recht verletzt und deshalb auch nicht zur Beschwerde legitimiert.

In Bezug auf die Sache selbst ist beizufügen : Während die schwyzerische Verfassung von 1876 in keiner Weise definiert, wer als Niedergelassener und wer als Aufenthalter im Sinne von § 78 zu betrachten sei, bestimmt § 2 der Verordnung über Niederlassung und Aufenthalt vom 25. November l890 : Als Niedergelassener wird betrachtet und ist zur Einholung der Niederlassung pflichtig : a. wer in einer Gemeinde des Kantons, in der er nicht Bürger ist, seinen Wohnsitz nimmt, und entweder einen eigenen Haushalt führt, oder einen Beruf oder ein Gewerbe auf eigene Rechnung betreibt; b. wer in eigenem oder fremdem Namen in einer Gemeinde, in der er nicht Bürger ist, eine Warenniederlage (Lagerhäuser, Warendepots u. dergl.) hält.

Dagegen werden nach § 22 derselben Verordnung alle diejenigen als Aufenthalter betrachtet und haben die Aufenthaltsbewilligung einzuholen, welche die Eigenschaften, die den Begriff der Niederlassung (nach § 2) bilden, nicht besitzen. Aufenthalter

168 sind demnach nicht nur die Studenten, sondern auch Lehrlinge, Knechte, Gesellen, Angestellte u. s. w. ; alle diese Bevölkerungsklassen brauchen keine Niederlassung. Aus der Begriffsbestimmung von Niederlassung und Aufenthalt ergiebt sich, daß der Niedergelassene in dauernde Verbindung mit dem Niederlassungsort tritt, während der Aufenthalter nur vorübergehende Beziehungen zum Aufenthaltsort unterhält.

Wenn übrigens § 78 der Verfassung Zweifel über die Bedeutung des Wortes ,,wohnen" hätte aufkommen lassen, so läge gemäß § 39 der Verfassung die Interpretation dieses Paragraphen dem schwyzerischen Kantonsrate ob, und sie wäre in den beiden mehrfach genannten Verordnungen des Kantonsrates schon längst gegeben.

Bndlich spricht eine zwanzigjährige Praxis für die Auffassung des Regierungsrates, nach welcher bisher jeder stimmfähige Bürger ohne Ausnahme zu den kantonalen Abstimmungen zugelassen worden ist, wenn er seit einem Jahr in der Aufenthaltsgemeinde die Aufenthaltsbewilligimg besaß.

Da nun sämtliche Studenten, die an der Abstimmung vom 13. Februar 1898 teilgenommen haben, Anfang Oktober 1896 in die schwyzerischen Bildungsanstalten eingetreten sind, und ihre Schriften während der Dauer der Ferien nicht zurückgezogen haben, somit ihre Aufenthaltsbewilligung länger als ein Jahr fortlaufend in Kraft blieb, so kann ihre Stimmabgabe nicht als verfassungswidrig angefochten werden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Die Beteiligung der Studenten von Schwyz und Einsiedeln an der Verfassungsabstimmung vom 13. Februar 1898 ist auf das Abstimmungsergebnis unbestrittenermaßen einflußlos geblieben.

Trotzdem ist die gegenwärtige Beschwerde nicht gegenstandslos; denn die Frage der Stimrnberechtigung dieser Studenten blieb auch noch nach dem 13. Februar streitig ; und es kann daher diese Frage, gemäß konstanter Praxis des Bundesrates (vgl. Bundesratsbeschluß vom 7. März 1896 in Sachen Bielmann und Genossen, Bundesbl. 1896, II, S. 779), ganz unabhängig von der Frage des Abstimmungsergebnisses von den Beteiligten auf dem Beschwerdeweg

169 zur Entscheidung durch die kompetentes Bundesbehörden gebracht werden ; es handelt sich eben um eine Beschwerde betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger im Sinne von Art. 189, Abs. 4, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893.

II.

Zur Beschwerdeführung sind im vorliegenden Falle jedenfalls die Beschwerdeführer Bezirksammann Wyß in Einsiedeln und Gemeindepräsident Weber in Schwyz legitimiert; denn sie sind stimmberechtigte Bürger im Kanton Schwyz und sie führen als solche darüber Beschwerde, daß der Regierungsrat des Kantons Schwyz durch seine Schlußnahme vom 19./22. Februar 1898 Unberechtigten das kantonale Stimmrecht eingeräumt habe ; sie beschweren sich also über eine unzulässige Verkürzung ihrer politischen Rechte, die eintritt durch die Teilnahme von solchen Personen an Wahlen und Abstimmungen, die nicht stimmberechtigt sind.

Aber auch der Bezirksrat von Einsiedeln und der Gemeinderat von Schwyz sind zur Beschwerdeführung legitimiert; diese Behörden besitzen zwar kein eigenes selbständiges Stimmrecht, sie treten aber als diejenigen auf, die die verletzten Interessen der mit ihnen übereinstimmenden Stimmberechtigten ihrer Amtskreise wahren ; und sie sind deshalb in politischen Angelegenheiten auch ohne besonderen Auftrag die natürlichen Vertreter derselben. Der Bundesrat hat stets die Legitimation von Gemeinderäten und ähnlichen Behörden zur Beschwerdeftthrung in Stimmrechtsfragen und Wahlsachen anerkannt (vgl. die Nachweise bei Salis, Bundesrecht, II, Nr. 771, und Anmerkung).

III.

Bundesrechtlich ist die Stimmberechtigung der kantonsfremd en schweizerischen Aufenthalter in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten des Aufenthaltskantons zur Zeit nicht festgesetzt ; bis zum Erlaß des in Art. 47 der Bundesverfassung vorgesehenen Bundesgesetzes beurteilt sich daher die Frage der Stimmborechtigung solcher Aufenthalter nach kantonalem Recht. Da nun im vorliegenden Falle allein Schwyzer Recht in Betracht fällt, so können die auf Grund des Tessiner Rechts getroffenen Entscheidungen des Bundesrates vom 18. Juni 1891 (Bundesbl. 1891, III, S. 896, 1005, Salis a. a. 0. II, Nr. 834«, S. 638, Ziff. 4) nicht als maßgebende Präjudicien angerufen werden Das Schwyzer Recht erit-

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hält in § 78, Abs. l und litt, f, der am 4. Oktober 1891 revidierten Verfassung vom 11. Juni 1876 die Bestimmung, daß die Bezirksgemeinde aus allen Stimmfähigen besteht, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben, daß aber von der Stimmfähigkeit ausgeschlossen sind u. a. Aufenthalter-Schweizerbürger, welche nicht schon während der Dauer eines Jahres im Bezirk gewohnt haben. Da diese Bestimmung als Verfassungsvorschrift unter Bundesschutz steht, so ist die vom Bundesrat zu entscheidende Frage die: Hat der Regierungsrat des Kantons Schwyz die Vorschrift des § 78, litt, f, der Schwyzer Verfassung dadurch verletzt, daß er mit Beschluß vom 19./22. Februar 1898 den kantonsfremden schweizerischen Studenten in Schwyz und Einsiedeln, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben, und seit länger als Jahresfrist im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung sind, das kantonale Stimmrecht zuerkannt hat?

Diese Frage ist zu verneinen. Es genügt zwar hierfür nicht, wenn auf die konstante diesbezügliche schwyzerische Praxis verwiesen wird ; genügend ist auch nicht der Hinweis auf den Umstand, daß diese Praxis mit dem Wortlaut der Vollziehungsverordnungen zu den Verfassungsbestimmungen über das Stimmrecht (nämlich mit § 5, litt. /, der kantonsrätlichen Verordnung vom 14. Juni 1881 über das Verfahren bei den geheimen Abstimmungen im Kanton Schwyz, und § 27, litt, a, der kantonsrätlichen Verordnung über Niederlassung und Aufenthalt vom 25. November 1890) übereinstimmt, obschon nicht zu verkennen ist, daß die Bundesbehörde nicht ohne triftigen Grund eine Interpretation kantonalen Rechts, die von der kompetenten kantonalen Behörde aufgestellt ist, umstoßen wird. Ausschlaggebend sind indessen folgende Erwägungen : Daß die in Frage stehenden Studenten der Kategorie der Aufenthalter zuzuzählen sind, ist angesichts der allgemein herrsehenden Auffassung über das Verhältnis von Niedergelassenen und Aufenthaltern und insbesondere im Hinblick auf § 22 der schwyzerischen Verordnung über Niederlassung und Aufenthalt vom 25. November 1890 nicht zweifelhaft. Denn diese Studenten halten sich am Studienort nicht auf, um daselbst ein eigenes Hauswesen zu führen oder einen Beruf oder ein Gewerbe auf eigene Rechnung zu betreiben, sondern ihrer Studien wegen, demnach verweilen sie daselbst auch nicht nur eine ganz kurze Zeit, und sie sind deshalb nach Vorschrift des Schwyzerrechts unter Schriftenabgabe zur Einholung einer Aufentbaltsbewilligung verpflichtet.

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Wenn diese Studenten, vom Moment der Aufenthaltsbewilligung an, ein Jahr am Studienort studienhalber zugebracht haben, so erlangen sie, ohne Rücksicht auf eine etwa während der Ferien erfolgte tatsächliche Unterbrechung des Aufenthaltes, nach Auffassung des Regierungsrates des Kantons Schwyz das schwyzerische Stimmrecht, während sie nach Autfassung der Besehwerdeführer von diesem Stimmrecht ausgeschlossen bleiben, weil der Student am Aufenthaltsort keinen Wohnsitz hat, der Wohnsitz aber notwendige Voraussetzung des Erwerbes der Stirnmberechtigung im Sinne des § 78, litt, f, der Schwyzer Verfassung sei.

Gegen diese Auffassung ist mit Recht eingewendet worden, daß der Ausdruck ,,wohnen" in der litt, f der erwähnten Verfassungsbestimmung nur aus stilistischem Grunde gewählt worden ist, statt des vielleicht genaueren Ausdruckes ,,sich auf halten "·. Freilich ist auch der Ausdruck ,,wohnen1'- keineswegs unrichtig ; denn auch der Aufenthalter muß da, wo er sich möglicherweise Jahre hindurch mit oder ohne Unterbrechung Tag und Nacht aufhält, eine Wohnung, wo er wohnt, haben. Und daß der Ausdruck ,,wohnen" in der litt, f des § 78 der Schwyzer Verfassung nicht in der technischen Bedeutung des ,,Domizils" gebraucht worden ist, ergiebt sich aus deiin derselben litt, f enthaltenen analogen Bestimmung über den Niedergelassenen, bei dem sich gleichfalls der Erwe'rb des kantonalen Stimmrechts nach dem Zeitpunkt der erhaltenen Niederlassungsbewilligung richtet. Des fernem würde die von den Beschwerdeführern vertretene Auffassung zur Unterscheidung von zwei Kategorien von Aufenthaltern fuhren, nämlich zur Unterscheidung von Aufenthaltern, die das Stimmrecht erwerben können, und solchen, die davon ausgeschlossen bleiben. Diese Unterscheidung, zunächst durch subtile Interpretation der Wortfassung der Verfassung gewonnen, würde in der Praxis kaum durchführbar sein ; sie würde eine bedenkliche Rechtsunsicherheit verursachen und in der Anwendung willkürlich bleiben ; denn an Hand welcher Merkmale will man den Aufenthalter, der am Aufenthaltsort ein politisches Domizil besitzt, von demjenigen, der ein solches entbehrt, unterscheiden? Und wenn gesagt wird, dieses Domizil müsse aus der Natur des Verhältnisses konstruiert werden, es sei in dem Gemeinwesen, dem man anteilnehmend an seinem Wohl und Weh angehört, dem man
nicht fremd ist, mit dem man näher verwachsen ist, so ist nicht ersichtlich, warum ein solches Domizil beim Studenten von vorneherein und unter allen Umständen ausgeschlossen sein soll, beim Angestellten, Gesellen, Kellner, Knecht u. s. w.

dagegen nicht.

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Aus dem Umstände, daß der Student am Studienort in der Regel kein Steuerdomizil und auch kein civilrechtliches Domizil hat, folgt nicht, daß er daselbst nicht Aufenthalter ist ; und deshalb kann er auch als Aufenthalter je nach der Gestaltung des kantonalen Rechts am Aufenthaltsort das kantonale Stimmrecht erwerben.

IV.

Die Studenten von Schwyz und Einsiedeln bringen in der Regel ihre Ferien nicht am Studienorte zu 5 sie erheben aber während der Ferienzeit ihre hinterlegten Ausweisschriften nicht und bleiben deshalb am Studienort ununterbrochen Aufenthalter ; deshalb ist auch gegen die Praxis der schwyzerischen Behörde nichts, einzuwenden, die bei Bestimmung des Eintritts der Stimmberechtigung der Aufenthalter auf eine vorübergehende Abwesenheit vom Aufenthaltsort keine Rücksicht nimmt und die Jahresfrist der litt, f des § 78 der Verfassung im Sinne des § 27 der erwähnten Verordnung vom 25. November 1890 von der Aufenthaltsbewilligung an berechnet.

V.

Endlich können die Beschwerdeführer auch nicht die Vorschrift des Art. 43, Abs. 3, der Bundesverfassung, wonach niemand in mehr als in einem Kanton politische Rechte ausüben kann, zu ihren Gunsten anrufen. Denn es ist nicht festgestellt, daß die in Frage stehenden Studenten sowohl in ihrem Aufenthaltskanton als in ihrer Heimat politische Rechte ausgeübt haben oder ausüben.

Der Umstand aber, daß jemand möglicherweise gleichzeitig in zwei Kantonen in den Stimmregistern als stimmberechtigt eingetragen ist, ist eine Ordnungswidrigkeit, die allerdings leicht zu einer Verletzung der Vorschrift des Art. 43, Abs. 3, der Bundesverfassung führt, die aber eine Folge ist der Verschiedenheiten der kantonalen Stimmrechtsbestimmungen und der Ungleichartigkeit der Führung der kantonalen Stimmrechtsregister, und die daher kaum unter allen Umständen vermieden werden kann.

Ist aber im vorliegenden Falle die Vorschrift des Art. 43, Abs. 3, der Bundesverfassung nicht verletzt worden, so hat der Bundesrat keine Veranlassung, sich über die Frage auszusprechen, ob bei wirklicher Kollision zweier kantonaler Gesetze die Stimmberechtigung im Heimatkanton oder diejenige im Aufenthaltskanton bundesrechtlich anzuerkennen ist.

173 Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 15. November 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der I. Vizekanzler : S hatzmann.

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