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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Bahnarbeiters Albert Moser in Ostermundigen.

(Vom 19. Dezember 1898.)

Tit.

Am 28. April 1898 erlitt der Bahnarbeiter Bühler auf der Schweizerischen Centralbahnstation Ostermundigen anläßlich eines vorschriftwidrig ausgeführten Manövers einen Schenkelbruch. Der Hergang ist folgender. Eine Reihe von sieben Wagen sollte von einer Lokomotive auf ein Nebengeleise abgestoßen werden. Als Bremser funktionierten die Bahnarbeiter Albert M o s e r von Zäziwyl, geb. 1877, und Friedrich B ü h l e r ; Buhler bediente die Bremse des in der Fahrrichtung vordersten, Moser diejenige des zweithintersten Wagens.

Art. 34 der Vorschriften über den Rangierdienst auf den schweizerischen Normalbahnen schreibt vor, daß beim Abstoßen resp. Ablaufenlassen von Wagengruppen die abzustoßenden Fahrzeuge unter sich gekuppelt sein müssen ; ferner heißt es in diesem Artikel : ,,Beim Abstoßen resp. Ablaufenlassen einzelner Wagen oder Wagengruppen ist mit aller Vorsicht vorzugehen und sind alle Mitwirkenden genau zu verständigen . . . . .a In Widerhandlung gegen diese Vorschriften hat nun Moser die beiden hintersten Wagen eigenmächtig, und ohne den Rangier-

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leiter und den Bühler zu benachrichtigen, von den übrigen Fahrzeugen losgekuppelt und vor dem hart am Bahnkörper stehenden Neubau des Kupferschmieds Ruef zum Stehen gebracht.

Infolgedessen vermochte Bühler die weiterrollenden fünf Wagen nicht rechtzeitig anzuhalten, diese prallten gegen ein quer auf der Drehscheibe stehendes Fahrzeug, wobei dem Bühler der linke Unterschenkel eingeklemmt und gebrochen worden ist.

Zu seiner Handlungsweise ist Moser durch den Umstand veranlaßt worden, daß der Inhalt der von ihm losgetrennten Wagen für den Neubau des Herrn Ruef bestimmt war und an der Stelle, wo er die Wagen zum Stehen gebracht, ausgeladen werden sollte.

Mit Urteil des Richteramtes Bern -- Abteilung des Polizeirichters -- d. d. 5. Oktober abhin, ist Moser der fahrlässigen Beschädigung und Gefährdung eines Eisenbahnzuges schuldig erklärt und in Anwendung des Art. 67, litt. &, des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 korrektioneil zu einem Tag Gefangenschaft, polizeilich zu Fr. 5 Buße und zu Fr. 25. 10 Staatskosten verurteilt worden.

Mit Eingabe vom 10. November 1898 an das Regierungsstatthalteramt Bern zu Händen der hohen Bundesversammlung ersucht Fürsprecher Volmar namens des Albert Moser um Erlaß der Gefängnisstrafe. Zur Begründung des Gesuches wird angebracht, Moser habe erst unmittelbar vor Ausführung des Manövers bemerkt, daß der Inhalt jener beiden Wagen für den Ruefschen Neubau bestimmt sei, und deswegen die übrigen am Manöver beteiligten Personen nicht mehr verständigen können ; ferner wird darauf aufmerksam gemacht, daß der Gesuchsteller im Eisenbahndienste damals noch unerfahren gewesen sei, und schließlich findet Moser, es wäre hart, wegen seiner im Grunde geringfügigen Widerhandlung eine Gefängnisstrafe erstehen zu müssen.

Das Begnadigungsgesuch wird sowohl von dem Richter, der das Urteil gefällt, dem Regierungsstatthalter von Bern und dem Gemeinderat von Bolligen empfohlen.

Aus den Akten ergiebt sich, daß Moser ein unbescholtener junger Mann ist.

Der von Moser begangene Fehler, der allerdings eine erhebliche Verletzung des Arbeiters Bühler zur Folge hatte, stellt sich als ein Ausfluß seines Diensteifers dar, und es ist nicht anzunehmen, daß sich Moser bewußt war, welche Folgen seine Handlungsweise für den übrigen Teil der in Bewegung gesetzten Wagenkolonne und den dieselbe als Bremser bedienenden ßühler haben

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konnte. Zudem ergibt sich aus den Akten, daß auch noch andere Faktoren zu der Verletzung des Bühler beigetragen haben : Es sei zufälligerweise die Bremse des ersten Wagens zu schwach und die Schienen in jenem Zeitpunkt naß gewesen, was bewirkt habe, daß die Wagen leichter rollten und schwieriger zum Stillstand zu bringen waren.

Bei Ausfallung des Strafmaßes hat der Richter allerdings bereits den geringen Grad der zu Tage getretenen Fahrlässigkeit, sowie die Jugend und Unerfahrenheit des Moser als strafmildernd in Betracht gezogen, allein nach dem Wortlaute des Gesetzes m u ß t e «r auf eine Gefängnisstrafe erkennen; Sache der Begnadigungsinstanz ist es nun, zu prüfen, ob im vorliegenden Falle die offenbare Härte des Gesetzes, -wonach auch in den geringfügigsten Fällen fahrlässiger Eisenbahngefährdungen Gefängnisstrafe ausgesprochen werden muß, zu paralysieren sei.

Wir halten dies hier für gerechtfertigt und stellen bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es sei dem Moser die durch das vorgenannte Urteil des Polizeirichters von Bern auferlegte Gefängnisstrafe von einem Tag in Onaden zu erlassen.

B e r n , den 19. Dezember 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Bundesblatt. 50. Jahrg.

Bd. V.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Bahnarbeiters Albert Moser in Ostermundigen. (Vom 19. Dezember 1898.)

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21.12.1898

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